Das Theaterensemble Junge Luisenburg tritt mit „45 min. netzlos“ in Klassenzimmern auf – und spricht den Schülern aus der Seele

Von 23. Januar bis 17. Februar 2023 ist Patrick Isopp zusammen mit der Leiterin des Kinder- und Jugendensembles nicht nur in der Oberpfalz an den Schulen unterwegs. Besser könnte der Spielort für das Stück von Klaus Chatten und Steven Ricardo Scholz auch nicht sein, denn das Einmannstück beginnt damit, dass Schüler Len mit dem nassen Regenschirm in das Klassenzimmer gehetzt kommt und in der Tür seiner Deutschlehrerin Fiesner-Battenschlag in die Arme läuft. Die Lehrerin ist nicht zu sehen, die Hauptfigur spricht von der Klassenzimmertür aus auf den Gang hinaus und der Verlauf des Dialogs ist aus Lens Antworten zu rekonstruieren. Frau Fiesner-Battenschlag erinnert Len an das Referat, dass er in der zweiten Schulstunde halten muss und von dem seine Versetzung in die nächste Klasse abhängt. Thema ist die Komödie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe.

Len gibt sich der Lehrerin gegenüber selbstsicher, aber natürlich hat er das Stück nicht gelesen und auch das Referat ist noch nicht vorbereitet. Ihm bleiben noch 45 Minuten Zeit für die Vorbereitung. Das sollte ja reichen, denkt er – schließlich sind im Netz sicher die notwendigen Informationen zu finden. Er beginnt also, nach dem Titel des Stückes im Internet zu suchen. Schon nach den ersten Zeilen der Inhaltsangabe, die ihm reichlich kompliziert erscheint, sucht er Ablenkung und er ruft seinen Freund Karim im Krankenhaus an. Im Laufe des Gesprächs erfährt der Zuschauer von der Familiensituation Lens. Sein Vater ist gerade mit seiner neuen Lebensgefährtin auf der Route 66 in den USA unterwegs – diesen Trip hatte er eigentlich seinem Sohn versprochen. Auch seine Mutter scheint für Len keine große Stütze zu sein.

Len versucht, seinen Frust zu überspielen. Er gibt sich cool, aber der Zuschauer merkt, dass den Jugendlichen das alles doch nicht ganz kalt lässt. Er wechselt das Gesprächsthema mit Karim zu Klassenschwarm Jasmine, in die er offensichtlich verliebt ist. Sein größtes Problem, wenn er die Klasse nicht bestehen würde, wäre, dass er dann nicht mehr mit ihr und seinem Kumpel Karim in der Klasse wäre. Aber ob Jasmin ihn wirklich toll findet? „Wir sind voll die Looser“, stellt er etwas resigniert fest.

Er lässt sich schließlich dazu überreden, mit Karim online Fußball zu zocken, bis er sich daran erinnert, dass ihm zur Vorbereitung seines Referates nur noch 25 Minuten bleiben.

Wieder versucht Len, sich im Internet den Inhalt des Stückes zu erschließen, um dabei festzustellen, dass er mit der Zusammenfassung nur wenig anfangen kann. Und plötzlich ist auch noch die W-Lan-Verbindung weg. Len hat nur noch 20 Minuten Zeit und er beginnt, panisch nach dem Reclam-Heft mit dem Stück zu suchen, das sich irgendwo in seinen Schulsachen befinden muss. Es sind nicht nur Situationen wie diese, von denen das Stück lebt und in die sich wohl nicht nur jeder Jugendliche absolut hineinversetzten kann: Len läuft die Zeit davon und bei seiner hektischen Suche wird ihm selbst der Reißverschluss der Tasche kurzzeitig zum Feind.

Schließlich findet er das kleine Buch in seiner Brotzeitbox und stellt beim Aufschlagen fest: „85 Seiten in 20 Minuten! Das schaffe ich niemals.“ Er überlegt, seiner Lehrerin einen plötzlichen Anfall von Brechdurchfall vorzuspielen, verwirft diese Idee aber in dem Wissen, dass sie ihn sofort durchschauen würde. Wahllos liest er einzelne Passagen aus dem Anfangsmonolog des Dichters Rattengift, der unter Druck ein großartiges Gedicht schreiben muss und zwischen Größenwahn, Schreibblockade und Versagensangst schwankt. Len kommt die Situation des Dichters nur allzu bekannt vor.

„Der Schwächste ist in der Gefahr oft der Stärkste“, ist eines der ersten Zitate, über das er sich seine eigenen Gedanken macht. Len versucht, dies als Aufruf an die Lehrer zu interpretieren, Schüler nicht mehr nur nach Noten zu beurteilen bzw. den schlechtesten Schülern in Zukunft die Bestnote zu geben – schließlich hätten die Schwächsten ohnehin den schwersten Stand und somit am meisten zu leisten. Er liest weitere kurze Passagen, spielt diese nach oder versucht, ihnen aus seiner Sicht einen Sinn zu geben. Als er nicht mehr weiter weiß, beginnt er, zu singen und Gitarre zu spielen. In dem Lied spricht er mit seiner Mutter und seinem früheren Musiklehrer Tom, der nach Japan gegangen ist und der ihm rät: „Man muss auch scheitern lernen. Aus Scheitern entsteht Neues.“

Aber davon ist Len nicht überzeugt. Stattdessen macht er seinem Frust über die Schule Platz: „Die sollen uns etwas beibringen, was auch etwas bringt. Zum Beispiel, die Steuererklärung zu machen, ein Mofa zu reparieren oder Möbel von Ikea aufzubauen! Jaja, ich weiß, du kannst alles werden. Ja, deshalb müssen wir in der Schule auch alles können!“

Schließlich stellt er sich ein Gespräch mit Jasmin nach seinem gescheiterten Referat vor: „Ich bin eben total verpeilt. Hast du trotzdem noch Bock auf mich?“ Und die Antwort, die er sich wünscht, wäre natürlich: „Das hat doch nichts mit deiner Deutschnote zu tun.“ In Lens Gedanken und ausgedachten Dialogen wird die wohl zentrale Aussage des Stückes deutlich: Leistung ist nicht alles, was im Leben zählt. Was er sich wünscht ist „Liebe, Freiheit, Abenteuer“. Und das will er sich nicht von einfach von einem Referat zerstören lassen.

Er wirft noch einmal einen Blick in das Buch und er findet ein Zitat des Dichters Rattengift, das ihm schließlich die zündende Idee liefert: „Ich mache gleichsam darüber, dass ich kein Referat zu halten vermag, ein Referat.“

Die Unterrichtsstunde beginnt. Nach zwei der gelesenen Zitate aus dem Stück, die er zum Einstieg kommentiert, erklärt er der Lehrerin, er würde nun ein Lied singen, denn er habe sein Deutschreferat mit dem Wahlfach Musik verbunden. Das Lied, das folgt, ist ein Liebeslied für Jasmin. Es handelt von der Frage, ob er mit ihr die Route 66 fahren würde. Das Lied endet, die Spannung bleibt im Raum. Wie wird die Lehrerin reagieren? Und damit hat wohl selbst Len nicht gerechnet: Er habe die anarchistische und romantische Kernbotschaft des Stückes erfasst und mit seiner musikalischen Präsentation auch noch Mut bewiesen. Andere Schüler sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Note 1, Versetzung gesichert. Was für Len aber noch wichtiger ist: Auch bei Jasmin hat er mit seiner Performance einen Volltreffer gelandet.

Mit seiner humorvollen Energie und Authentizität schafft es Patrick Isopp, die Schüler 45 Minuten lang zu fesseln und auch in der anschließenden Gesprächsrunde steht das Interesse der Zuschauer im Mittelpunkt. Egal ob zu seinem Beruf, seiner Herkunft oder zum Stück, Patrick Isopp ist für alle Fragen offen, ebenso wie die Leiterin der Jungen Luisenburg Fenja Grießhammer. Ihr Anliegen ist es, mit dem Stück den Schülern Mut zu machen und ihnen zu vermitteln, dass man nicht immer alles zu ernst nehmen und sich nicht zu sehr unter Leistungsdruck setzten darf. Manchmal ist es besser, entspannt und kreativ an Dinge heranzugehen, wie es Len am Ende des Stücks getan hat. Zudem wird karikiert, wie absurd es im Schulalltag manchmal sein kann, auch was „Leistungen“ oder Bewertungen betrifft. Vor allem aber möchte Fenja Grießhammer den Schülern zeigen, dass Theater auch cool sein kann. Und das gelingt mit dieser Produktion eindeutig.

Das liegt aus Sicht des Hauptdarstellers vor allem daran, dass das Stück so nah an jedem Schüler ist und jeder für sich persönlich etwas mitnehmen kann. Gerade unter den 14- bis 15-Jährigen hat wohl jeder Jugendliche aus seiner Perspektive gerade das schlimmste Leben von allen. Das Stück kann hier durch seine humorvolle Art und Weise, wie mit den Themen Schulstress, Verliebtsein, Konflikte mit den Eltern, aber auch Wünsche und Träume umgegangen wird, auflockern und vielleicht auch dabei helfen, dass die Jugendlichen ihre Situation wenigstens für ein paar Momente aus der Distanz betrachten und darüber lachen können.

Dass das Stück aber nicht nur für 8. und 9. Klassen geeignet ist, bewies die Begeisterung der Studierenden im 1. Studienjahr der Fachakademie für Sozialpädagogik Weiden. Auch sie bestätigten, sich mit der Figur des Len absolut identifizieren zu können. Sie wollten unter anderem auch wissen, was den Beruf des Schauspielers am schwersten macht. Das sei vor allem die Angst vor unsicheren Zeiten ohne Engagements. Diese Angst gibt es unter Schauspielern bzw. wohl allen Kulturschaffenden schon immer. Dazu kommt, dass die Theater seit Corona noch immer unter Publikumsschwund leiden.  Klassenzimmerstücke wie dieses können ein Weg sein, auch junge Menschen wieder vor die Bühnen zu locken.

Abschließend noch ein Gedanke, der vor allem für alle Lehrkräfte interessant und zukunftsweisend sein sollte: „Wie schafft man es, 45 Minuten die Spannung in einer Klasse so aufrecht zu halten?“ Die Antwort von Patrick Isopp klingt erstaunlich einfach: „Auch Lehrer können das, wenn sie sich nicht über die Dinge stellen, sondern wenn sie mit den Schülern offen, authentisch und echt kommunizieren.“

Zur Person:

Patrick Isopp ist 2000 in Wolfsberg in Kärnten geboren. Seit seiner Ausbildung an der Schauspielschule in Wien ist er frei an verschiedenen Häusern sowie im Filmbereich sowie als Content Creator für ein Start Up tätig. Für die Inszenierung „45 min. netzlos“ hat er sich aus Wien an die Luisenburg beworben und konnte sowohl den Regisseur als auch Theaterpädagogin Makosch sofort von sich überzeugen. Geprobt hat er mit dem Autor des Stückes selbst hauptsächlich in Berlin. Nach Ende der Spielzeit des Klassenzimmerstücks hat Patrick Isopp verschiedene Produktionen unter anderem in Wien vor sich. Nächstes Jahr wird er auch im deutschen Fernsehen zu sehen sein.

Das Stück ist noch bis 17. Februar buchbar.

Weitere Informationen unter https://www.luisenburg-aktuell.de/paedagogik/